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Wie meine Großeltern den ersten 
deutschen Krieg gegen die Welt 
und die Weimarer Republik erlebten.

Frida im Matrosenkleid...
Vor 100 Jahren: Links auf dem Foto meine Grosseltern Frida und Paul beim Campingfrühstück mit Freunden. 

Frida Schiller arbeitete als Stenotypistin und Paul Schiller als Schriftsetzer. Sie haben Angst, dass Paul zum Militär muss. Er will da nicht hin und plant heimlich sich den Fuss abzuhacken. Doch irgendwie kommt sie hinter seinen Plan und bietet ihm an, ihm sozusagen "aus Versehen" die Beine zu verbrühen. [1915 wird er zum Militär einberufen und sie tut es] So landet er, im Lazarett statt im Krieg. Aber sie verliert ihr gemeinsames Kind.

Und Frida versuchte das ihrige, den Krieg beendigen zu helfen. Sie unterstützt die Gruppe Internationale in der SPD, später Spartakusgruppe [Nach dem Gründungsparteitag der KPD (Ende Dezember 1918) tippt Sie sogar ein Protokoll nach eigenen Stenonotizen, das aber als verschollen gilt]. Sonst arbeitete sie gelegentlich im Stenotypie- und Vervielfältigungs-Büro von Mathilde Jacob, der Sekretärin von Rosa Luxenburg in Berlin-Tiergarten.
Paul lag derweil nicht gelangweilt im Garnisonslazarett in Jüterbog: Er schreibt bis die Hände weh tun Texte gegen den Krieg. Am Wochenende besucht ihn Frida oft mit der Anhalter Bahn. Einmal (Paul geht es besser) bringt sie ihm Kiloweise Butter mit, die Paul dann aufeinmal verzehrt und sich so nochmal versehrt. Irgendwie simuliert er sich als Lazarettinsasse durch seine Militärzeit im Krieg von 1915 bis fast 1917. Frida verfielfältigt Pauls Texte und schickt sie per Feldpost an zahlreiche ihnen bekannte Linke an den Fronten.
-Kriegerweihnachten
Wegen dauernder Krankheit vom Militär entlassen, wurde Paul Schiller in den kommenden Jahren fast zum Berufsrevolutionär: Mit Arthur Pieck arbeitete er am Aufbau des Jugendbildungsvereins von Gross-Berlin. Mit seiner Frau verteilt Paul die SPARTACUSBRIEFE, die sie über den Charlottenburger Genossen Alfred Wagner erhielten. Paul war Jugendredakteur beim Mitteilungsblatt der USPD und an der Entstehung der Berliner Freien sozialistischen Jugend beteiligt. Paul Schiller organisiert die revolutionäre Jugend 1918 /19 im Kampf um ihre Rechte auf und am Arbeitsplatz. Mit seiner Schrift  "Die Betriebsorganisation der Jugend" schafft er es schliesslich auf die bedeutenste Shortlist der anständigen deutschen Literatur:
http://www.berlin.de/rubrik/hauptstadt/verbannte_buecher/suche.php?s_autor_nachname=Schiller&s_autor_vorname=Paul

Nach dem  Dekret über den Frieden von 1917 und dem daraus resultierenden Frieden von Brest-Litowsk mit der diplomatischen Anerkennung Sowjetrusslands durch das Deutsche Reich am 3. März 1918 musste die Lenin-Regierung irgendwann diplomatisches Personal nach Berlin schicken. In dem Vertrag waren den Bolschewiki von der Obersten Heeresleitung des Deutschen Reiches riesige Ländereien abgeknöpft worden, was zum Rücktritt der Frau Kollontai als Ministerin führte und was meine Oma als Kolontai-Fan entsetzte.
Außenminister Tschitscherin und der Volkskommissar für den Handel  musste 1921 auch die ehemals zaristische, jetzt sowjetische Handelsvertretung in Berlin besetzen. Neuer Leiter wird Baris Stomonjakow der, mit seiner neuen Sekretärin Frida Schiller, den deutsch-sowjetischen Handel ankurbelt. Sie lernt ab sofort Russisch, führt aber auch schon mal Geschäftsverhandlungen auf Deutsch am Telefon für Ihren sowjetischen Vorgesetzten unter anderen mit den Chefs von AEG und Siemens. Sie arbeitet sich in die speditionstechnischen Begriffe ein und hat sowas später mir schon als Vorschüler  übergeholfen  (...frei Hafen Petersburg usw.).


Meine Schere aus Fridas Nachlass scheint ein Werbegeschenk der Firma Siemens-Schuckert gewesen zu sein.
 

Frida Schiller lernt Russisch mit allen damals lieferbaren Büchern (und die sind alle noch da).
Besonders abgegriffen sind die beiden Seiten mit dem kyrillischen ABC.
Handschriftlich hat Frida sich die Übersetzungen zum russischen Text zwischen die Zeilen geschrieben.
Frida verdient wirklich viel Geld in dieser Stellung, lernt viele interessante Kollegen kennen z.B. Gyula Sas, einen Kämpfer der ungarischen Räterepublik und auch zahlreiche russische Revolutionäre. Frida bringt auch einige KPD-ler hier unter (1922 wird Arthur Pieck Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung und 1934 - 39 ist die berufsverbotene Rechtsanwältin Hilde Benjamin als juristische Beraterin bei der Handelsvertretung beschäftigt.

Von Fridas Verdienst bei der Handelsvertretung kann die Familie sehr gut leben und sie machen ab dann Ferien in den Alpen (in Berchtesgaden und Heiligenblut) und an der Ostsee (s.Foto).
Sie behalten ihre Hinterhofwohnung, pachten einen Schrebergarten, den hauptsächlich Paul betreibt, der während der Weimarer Republik oft als radikaler Linker auf den schwarzen Listen der Unternehmer steht und so keine Arbeit in seinem Beruf findet. Jetzt lernt auch er Russisch und ist für die Kindererziehung zuständig, züchtet fanatisch Blumen und ist bis Mitte der 20er Jahre ist er Funktionär der KAPD. Dann treten Frida und Paul in die KPD ein und er wird dort Funktionär und sogar Landtagskandidat der KPD. Er hilft auch als gelernter Schriftsetzer bei der Parteizeitung aus.


Paul ist dann von 1930 bis 1933 Korrektor der Zeitung DIE ROTE FAHNE im Karl-Liebknecht-Haus und daneben Gewerkschaftsfunktionär in der Reichsleitung der KPD-nahen Druckergewerkschaft "RGO-Graphik" (RGO stand für Rote Gewerkschafts Opposition). Dann hat er es schwer Arbeit zu finden.
Frida Schiller behält ihren Job bis zum deutschen Einmarsch in die Sowjetunion im Sommer 1941. Schuldig fühlte sich Frida Schiller, weil sie es nicht fertig brachte, von der sowjetischen Handelvertretung aus die Eisenbahnzüge mit Weizen aus der Ukraine zu stoppen, die immer noch ins Reich rollten, obwohl Hitlerdeutschland die Sowjetunion gerade überfallen hatte.



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